EKWS Tagung Berufseinstieg: Arbeiten in Sammlungen, Archiven und Bibliotheken
Emma Lotta Matzinger
Der 11. April startet für mich abrupt. Ich finde mein Handy nicht mehr nach dem Aufstehen. So begebe ich mich ohne Handy und dreissig Minuten verspätet auf meine zweistündige Reise nach Basel. Ich bin gespannt, was mich erwartet. Mit dem Berufsfeld Archiv und Bibliothek hatte ich bis anhin noch nicht so viel Berührungspunkte, und es sind nicht die ersten Berufsfelder, welche ich mit den empirischen Kulturwissenschaften in Verbindung bringe. Insbesondere das Archiv assoziiere ich vor der Tagung intuitiv mit einem verstaubten Kellerraum und zerfledderten Büchern. Besonders freue ich mich auf die Vorträge von Nora Mathys, der Leiterin der Sammlung des Alpinen Museums und Lina Gafner, der Co-Direktorin des Gosteli-Archivs. Alpinismus und Feminismus sind zwei Themen, die mich sowohl privat als auch im Rahmen meines Studiums sehr interessieren.
Als ich in Basel beim Unigebäude ankomme, in dem die Tagung stattfindet, scheint die Sonne, und ich bin fast ein bisschen überwältig von der Schönheit des Unistandorts der empirischen Kulturwissenschaften. Als ich etwas verspätet in das Gebäude eintrete, werde ich von einer sehr freundlichen jungen Person empfangen. Sie weist mir den Weg zum richtigen Zimmer, und ich schleiche mich ganz hinten in den Raum. Mir fällt sogleich auf, dass alle aus Porzellantassen trinken: wie cool und nachhaltig! Ausserdem nehme ich im Raum viel mehr weiblich gelesene als männlich gelesene Menschen wahr. Keine Seltenheit im Studiengang der Populären Kulturen, bei den Dozent:innen wird es dann wieder ausgeglichener.
Inputreferate Expert:innen
Lina Gafner – Co-Direktorin Gosteli-Archiv
Der erste Vortrag, den ich besuche, ist von Lina Gafner, der Co-Direktorin des Gosteli Archivs. Aufgrund meiner Verspätung höre ich leider nur noch den letzten Teil ihrer Präsentation. Lina Gafner spricht darüber, inwiefern ihr das Anthropologiestudium bei ihrer jetzigen Stelle geholfen hat. Sie hebt vor allem die Fähigkeit hervor, sich komplexes und diverses Wissen innerhalb kurzer Zeit anzueignen. Ausserdem betont sie, dass das Studium ihr den Umgang mit anderen Akademiker:innen einfacher mache. Dies sei etwas, das sie in ihrem Team bemerke, stelle das doch für viele Menschen, die nicht aus dem akademischen Bereich kommen, eine Herausforderung dar. Nach dem Studium hat sie einen MAS für Management und einen MAS in Informatik gemacht. Dieses zusätzliche Know-How ist für ihre Tätigkeit als Co-Direktorin sehr wichtig. Man solle sich nicht davor scheuen, Weiterbildungen zu machen. Lina Gafner führt das Gosteli-Archiv mit ihrer besten Freundin. Ich bewundere das und frage mich seitdem, mit wem von meinen Freund:innen ich am liebsten ein Unternehmen führen würde.
Christina Besmer – Open Science Team Universitätsbibliothek Basel
Nach Lina Gafner präsentiert Christina Besmer ihre Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Open-Science Teams der Universitätsbibliothek Basel. Sie schildert ihre akademische Laufbahn und erwähnt an mehreren Stellen, dass sie nicht aus einer Akademiker:innenfamilie kommt. Sie schildert dies jedoch nicht als Karrierenachteil, vielmehr beschreibt sie, was für Dinge sie dadurch mitnehmen konnte. Christina Besmer absolvierte zum Beispiel bereits vor ihrem Studium ein Praktikum in der Bibliothek und arbeitete während ihres Studiums stets in diversen Bereichen der Universität. Auch machte sie fortlaufend Weiterbildungen. Christina Besmers Schilderungen des Schreibprozesses während der Doktorarbeit sind mir ebenfalls in Erinnerung geblieben: Sie arbeitete ganze sieben Jahre daran und ging nebenher auch noch einer Lohnarbeit nach. Zu ihrer jetzigen Stelle kam sie, weil sie ursprünglich eine nur für 20% ausgeschriebene Stelle annahm. Sie erklärt, dass es im akademischen Betrieb wichtig sei, einfach mal reinzukommen, und dass man da auch Dinge annehmen müsse, die auf den ersten Blick nicht so ganz den eigenen Vorstellungen entsprechen.
In der kurzen Znüni-Pause nach Besmers Vortrag sind meine Freundinnen und ich ein grosses Bisschen beeindruckt von dem Znüni-Buffet, welches zur Verfügung gestellt wird. Es gibt sogar vegane Gipfeli!

Nora Mathys – Leiterin Sammlung, ALPS Alpines Museum Schweiz
Gestärkt geht es nach der Pause weiter mit der Präsentation von Nora Mathys. Sie ist Leiterin der Sammlung des Alpinen Museums Bern. Leider hat ihre Präsentation keinen direkten Zusammenhang mit den Alpen, dafür mit Fotografie. Mathys hat über ihr Interesse für die Fotografie zum Thema ihrer Doktorarbeit gefunden. Durch ein Praktikum beim Schweizer Nationalmuseum im Rahmen der Ausstellung «Geschichte der Fotografie», wo sie Unmengen an Fotos aussortierte, fand sie den Einstieg in die Welt der Museen. Ihr akademischer Werdegang beschreibt sie als von Kontakten geprägt. Als entscheidende Richtungswechsel in ihrem Leben erwähnt sie auch zwei Trennungen: Der erste Richtungswechsel führte sie für zwei Jahre nach Paris, um da an ihrer Doktorarbeit zu arbeiten. Der zweite Richtungswechsel brachte sie zu dem Entscheid, alleinerziehende Mutter zu werden. Später erwähnt sie ihr Burnout, das sie unter anderem dazu bewegte, ihre Stelle in Lausanne zu kündigen und nach Bern zu wechseln. Ich bin sehr dankbar für ihre Offenheit, denn genau diese Geschichten, dieser soziale Kontext, ja, das Leben und der Mensch gehen leider viel zu oft unter in Karriereerzählungen.
Denise von Weymarn-Goldschmidt - Bibliothekarin Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie Universitätsbibliothek Basel
Auch die Präsentation von Denise von Weymarn-Goldschmidt, die uns einen Einblick gibt in ihren Werdegang zur Bibliothekarin am Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie in der Universitätsbibliothek Basel ist sehr persönlich. Sie wurde gleich nach dem Gymnasium Mutter und studierte mit Kind – ziemlich bald sogar mit zwei Kindern. Sie schrieb zudem eine Doktorarbeit, die sie und ihr Mann selbständig finanzierten. Weymarn-Goldschmidt erzählt, dass sie Schwierigkeiten hatte nach der Doktorarbeit eine Stelle, ja, überhaupt einen Praktikumsplatz zu finden. Meist wurde ein Informatik CAS gefordert, der jedoch eine Unmenge an Geld kostet.
Kurzinput Studienberatung und akademische Laufbahn
Danach findet eine Kurzinformation zu den Angeboten der Studienberatung der Uni Basel statt. Aus diesem Input kann ich sehr viel mitnehmen: Der Studienberater betont, dass der Markt für Stellen in der Kulturbranche ein verdeckter Markt sei. Auch er nennt ein gutes Netzwerk als wichtige Grundlage für die Jobsuche. Hierfür sollte man bereits möglichst früh Praktika machen. Viele nützliche Infos zu den Praktika höre ich zum ersten Mal. Der Studienberater erklärt, dass man sich keine Auszeit nach dem Master nehmen, sondern wenn möglich sofort in die Arbeitswelt einsteigen sollte. Der Bund bietet beispielsweise für Kulturwissenschaftler:innen im ersten Jahr nach dem Master gut bezahlte Praktika an. Eine weitere Möglichkeit, die einem den Berufseinstieg erleichtert, ist ein Programm des RAFs, welches Studienabgänger:innen ermöglicht, ein Praktikum in einem Betrieb ihrer Wahl zu absolvieren, während das RAF den Lohn zahlt.
Nach den Präsentationen geht es zum Mittagessen. Meine Freund:innen und ich sitzen im Garten hinter dem Unigebäude, essen leckere Sandwiches und Salat und lassen den Morgen Revue passieren. Besonders geblieben sind uns allen, die oben beschriebenen Lebensumstände der präsentierenden Frauen. Wir bewundern sie für ihre Transparenz und Ehrlichkeit. Es zeigt uns, dass der Lebenslauf nie eine gerade Linie ist, sondern dass es Auf und Abs gibt und man am Ende trotzdem an einem Ort ankommt, wo man gerne ist, respektive arbeitet. Wir befinden uns im vierten Semester des Bachelor-Studiums und sind daher noch etwas weit entfernt vom Berufseinstieg. Von vielen Begriffen und Ausbildungsmöglichkeiten hören wir zum ersten Mal. Wir haben noch einige offene Fragen und freuen uns, diese bei den Tischgesprächen am Nachmittag stellen zu können.

Tischgespräche
Doktorarbeit
Ein oft genanntes Thema in den Vorträgen und Fragerunden ist die Doktorarbeit. Da diese noch weit entfernt ist von meinem jetzigen Standort im Studium, wusste ich vor der Veranstaltung gar nicht, wie der Arbeitsprozess einer solchen Arbeit aussieht. Ich frage während der Tischgespräche nach und erfahre, dass es schwierig ist, diese Arbeit finanziert zu bekommen. Ausserdem schreiben die meisten oft mehrere Jahre an ihren Doktorarbeiten. Man sollte sich daher bei der Themenwahl darauf achten, ein Thema zu wählen, dass einem brennend interessiert. Viele Doktorierende brechen ihre Arbeit ab. Die Dissertation war für die meisten der Expert:innen nicht wegweisend für ihre berufliche Zukunft. Sie erzählen jedoch, dass der Doktortitel ihnen heute, insbesondere im akademischen Bereich, mehr Anerkennung verschafft.
Arbeiten im Archiv
Bei den Tischgesprächen erkundige ich mich zudem etwas genauer über die Tätigkeiten im Archiv. Ich erfahre, dass diese Arbeit, um einiges vielfältiger ist, als ich zu Beginn dachte. Kellerräume und zerfledderte Bücher gehören ab und an auch zum Arbeitsalltag, allerdings kommen täglich neue, aktuelle Materialien ins Archiv. Interessierte Menschen fragen im Archiv nach bestimmten Sachbeständen, die sie gerne anschauen würden. Das Gosteli Archiv betreibt zudem viel Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel mit Führungen. Administrative Tätigkeiten bilden zudem einen zentralen Bestandteil des Arbeitsalltags einer Archivleiter:in, oft müssen viele Aufgaben auf einmal erledigt werden.

Beim letzten Tischgespräch sprechen wir darüber, dass Archive sehr wichtige Orte sind für das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften. Die Art ein Archiv zu führen, variiert von Institution zu Institution. Interkulturelle Vergleiche zwischen Archiven sind speziell interessant. In Archiven sind Geschichten ganzer Gesellschaften gelagert. Eine wichtige Frage ist, welche Materialien archiviert werden und welche nicht. Dieser Entscheid liegt bei den Archivar:innen. Somit haben sie grossen Einfluss auf das Bild der Vergangenheit unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass dieses Bild kein objektives ist. Ein Grossteil aller Dokumente und Materialien schafft es nie in Archive.
Meine Synthese des Tages
Nach einer Synthese des Tages durch die Veranstaltungsleitenden spaziere ich durch Basel Richtung Bahnhof und denke über meine eigene Synthese des Tages nach. Was ich in einem Satz zusammengefasst von der Tagung mitnehme, ist die Bedeutung von Netzwerken für den Berufseinstieg, die persönlichen Geschichten der Präsentierenden, und dass ich mir aktuell überhaupt nicht vorstellen kann, in einem Archiv oder einer Bibliothek zu arbeiten. Trotzdem bin ich froh, die Tagung besucht zu haben. In dem weiten Berufsfeld der Kulturwissenschaften kann ich nun einen Beruf klar ausschliessen. Die Arbeit in Archiven oder Bibliotheken erscheint mir zu weit weg vom Leben, dass im Hier und Jetzt passiert und dem direkten Kontakt mit den Lebensrealitäten verschiedener Menschen. Durch die Tagung habe ich ausserdem einen ersten Einblick in den wissenschaftlichen Austausch erhalten. Ich bin froh, diese Tagung bereits im vierten Semester meines Studiums besucht zu haben. Nun weiss ich etwas genauer, wie ich mich je nach Berufswunsch ausrichten kann. Vor der Tagung war mir die zentrale Bedeutung von Netzwerken und Praktika für den Berufseinstieg noch nicht bewusst.