
Lieber Küche als Fabrik – Über das retronormative Begehren arbeitender Mütter
Laura Bäumel
Die gegenwärtige politisch-gesellschaftliche Konstellation, geprägt vom Aufschwung rechtsradikaler Parteien sowie vom Zuspruch zu autokratisch agierenden Parteispitzen, veranlasst Künstler:innen und Wissenschaftler:innen, Journalist:innen sowie Aktivist:innen, den möglichen Beitrag ihrer Analysen und Strategien zum gesellschaftlichen Diskurs und ihr Potenzial für Interventionen zu reflektieren. Zunehmend treibt die genannten Akteur:innen auch die Frage um, welche Rolle Frauen hinsichtlich des Aufschwungs der Rechten zukommt – denn in unterschiedlichsten Kontexten lässt sich feststellen, dass Frauen beispielsweise rechten Parteien zugewandter sind als in der Vergangenheit (siehe bspw. Chueri, Juliana, Anna Damerow 2023: Closing the gap. How descriptive and substantive representation affect women’s vote for populist radical right parties, in: West European Politics 46/5, 928–946).
In diesem Beitrag möchte ich versuchen, mich diesem Themenkomplex am Beispiel meiner ethnografischen Forschung im ostösterreichischen Bundesland Steiermark anzunähern. Ich werde zeigen, wie die politische Rechte ein retronormatives Begehren, das viele meiner Gesprächspartnerinnen formulierten, gezielt adressiert und damit mobilisiert, während potenziell progressive Solidarstrukturen von Arbeitnehmer:innen wenig Anklang finden.
«Was heutzutage die Frauen leisten» – Herausforderungen an der reproduktiven Schnittstelle
Während der letzten vier Jahre habe ich Gespräche mit Müttern geführt, die – meist aufgrund der zu verrichtenden Sorge- und Hausarbeit – in Fabriken, in der Regel als Leiharbeiterinnen angestellt, tätig sind. In den meisten Gesprächen wurde die Überbelastung, die Frauen* heute zu bewerkstelligen hätten, in einem ähnlichen Modus thematisiert:
«Was heutzutage die Frauen leisten, ich meine, das ist heute wirklich ein Wahnsinn. Weil so viel glaub ich, war es noch gar nie vorher. Weil wie ich noch kleiner war, oder ein Kind war, da sind die Frauen […] noch daheim ‘blieben und haben auf die Kinder geschaut. So viel war 2es noch nie, wie jetzt. Noch nie. [Wenn du heute nur Hausfrau bist], da schauen sie dich blöd an, he.» (Interview mit Renate Schwaiger, Dezember 2020).
Die hier zitierte Renate Schwaiger ist zweifache Mutter und absolvierte eine Doppellehre als Köchin und Kellnerin. Sie thematisiert zwei Aspekte, die in den Gesprächen während der Forschung immer wieder auftauchten: Erstens, die Überbelastung an der re-produktiven Schnittstelle, die Schwaiger und viele andere Gesprächspartnerinnen als Besonderheit der Gegenwart ausmachen, indem sie postuliert, dass es «noch gar nie vorher […] so viel» gewesen sei und als Beleg hierfür ihre eigene Kindheit als Referenz anführt, dass in ihrer Kindheit «die Frauen» zu Hause blieben, um sich der Kindererziehung zu widmen. Zweitens fügt sie ihren Ausführungen eine Anmerkung an, dass «sie dich blöd an[schauen]» würden, wäre man «nur Hausfrau».

Die in solchen Erzählungen enthaltene Aussage über die Elterngeneration, in denen «die Mütter» nur in der reproduktiven Sphäre tätig waren, stimmt bei genauerer Analyse nicht umfassend. Denn auch wenn Frauen dieses Klassenmilieus (auch jene der beforschten Region) in den Nachkriegsgenerationen im 20. Jahrhundert zum Teil ohne eigene Erwerbsarbeit auskamen, zeigt sich bei genauerer Analyse, dass die Erwerbsphasen der Mütter und Grossmütter der Interviewten schlichtweg nicht in die Erzählungen aufgenommen werden. In vielen Interviews wird erkennbar, dass auch die Mütter und Grossmütter lohnarbeiteten – nur eben nicht, wie die Väter und Grossväter, durchgängig, und meist nicht als gelernte Fachkräfte. Vielmehr waren sie beispielsweise ungelernte Hilfskräfte oder gingen informellen Lohnarbeiten nach. Wie die Interviewten selbst, organisierten bereits ihre Mütter und Grossmütter ihre Lohnarbeit stark um die reproduktiven Anforderungen herum, während den Vätern die Rolle als formell Lohnarbeitende und Familienernährer zukam. Es kann also festgehalten werden, dass die Mütter und Grossmütter der Interviewten viel stärker in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau wahrgenommen wurden, auch wenn sie in vielen Fällen de facto auch einen Beitrag zum Haushaltseinkommen beitrugen, der häufig nicht unwesentlich war. Die Vergangenheit wird also tendenziell nostalgisch als Zeit, in der weibliche Lohnarbeit nicht nötig war, verklärt. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass das Empfinden einer gegenwartsspezifischen Überforderung jeglicher Grundlage entbehre – die Neoliberalisierung hatte auf die Lebensführung – insbesondere von Frauen dieses Klassenmilieus – grosse (negative) Auswirkungen.
Die Fabrikarbeit als blanke Lohnarbeit
Meine Gesprächspartnerinnen sehen sich in der Gegenwart mit einer Situation konfrontiert, in der sie einerseits, wie schon ihre Grossmütter und Mütter, als Hauptverantwortliche der reproduktiven Familiensphäre agieren. Diese Rolle haben sie stark internalisiert, durch sie bauen sie ein zentrales Element ihrer Identität auf. Andererseits sind sie mit eigener Lohnabhängigkeit konfrontiert, was sie als Differenz zu den früheren Generationen markieren. Sie ordnen die Fabrikarbeit – im Gegensatz zu den reproduktiven Tätigkeiten – als lästige Nebentätigkeit ein, die nötig ist, um die Haus- und Sorgearbeit aufrechterhalten zu können:
«Dann bin ich gesessen, hab‘ überlegt, hab‘ ich mir gedacht, Fabrik, Nachtschicht, ruf‘ ich mal an, ob sie jemanden brauchen, bei der Leihfirma. […] Weil, das ist einfach, du bist flexibel mit den Arbeitszeiten. Ich suche mir meine Tage selbst aus. Und wenn ich für sie [Tochter] keinen habe, am nächsten Tag, dann bin ich den ganzen Tag wach, aber mir geht keine Zeit verloren.» (Interview mit Lisa Macher, August 2022).
Die Fabrikarbeit, häufig auch in der Nachtschicht verrichtet, wird zum Kompromiss, den man eingeht, um den eigentlichen Anforderungen als Mutter und Hausfrau tagsüber nachkommen zu können. Sie ermöglicht – im Vergleich zu anderen Lohnarbeiten, etwa in der Gastronomie – das Erzielen höherer Löhne und, aufgrund der Schichtarbeit, klar geregelte Arbeitszeiten. Die Fabrikarbeit selbst bietet jedoch, im Gegensatz zur Reproduktionsarbeit, kein Identifikationspotenzial – die Befragten verstehen sich in der Regel auch nicht als Arbeiterinnen. Dies hat auch einen Einfluss darauf, wie die Gesprächspartnerinnen zu Solidarstrukturen unter Arbeitnehmer:innen stehen: Obschon Österreich einen vergleichsweise hohen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad unter Arbeitnehmer:innen
verbuchen kann und dementsprechend auch viele der Interviewten über positive Erfahrungen vor allem mit Betriebsräten in den Fabriken, in denen sie arbeiten, berichten, übersetzt sich dies nicht in ein Bewusstsein darüber, welche Potenziale derartige Solidarstrukturen haben. So erzählte mir beispielsweise eine Arbeiterin während einer gemeinsamen Schicht in einer Produktionsstätte begeistert über die Unterstützung, die sie durch den Betriebsrat erfuhr, woraufhin wir ein Gespräch über die Rolle von Gewerkschaften führten, die institutionell eng mit den Betriebsräten verbunden sind. Sie erklärte mir, dass sie keinen Sinn in der Existenz von und vor allem in der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sähe: Denn Gewerkschaften könnten prinzipiell zwar helfen, wenn etwa Entlassungen stattfänden, aber «wenn zehn Entlassungen sind und alle zehn Betroffenen sind bei der Gewerkschaft, hilft es ja erst wieder nichts, denn dann kann sie ja nicht allen helfen» (Feldnotizen, Juli 2022). Die weiterreichenden Funktionen von Gewerkschaften – etwa als Interessenvertretung in tariflichen oder rechtlichen Aushandlungsprozessen – schienen in ihrer Wahrnehmung hingegen keine zentrale Rolle zu spielen. Derartige Interpretationen beobachtete ich im Laufe der Forschung häufig: Auch wenn positive Erfahrungen im direkten Kontakt mit Personen aus dem Betriebsrat innerhalb der Fabriken gemacht wurden, resultierte daraus in der Regel kein weiteres Interesse am Engagement im Betriebsrat, kein Beitritt zur Gewerkschaft und keine Identifikation als Teil der Gruppe der Arbeitnehmer:innen.
Die Bedeutung von Gewerkschaften als kollektive Vertretungen – etwa beim Aushandeln von Kollektivverträgen – sowie ihre Abhängigkeit von einer starken Mitgliedschaft, die ihre Verhandlungsposition gegenüber der arbeitgebenden Seite massgeblich stärkt, blieb dabei weitgehend unerwähnt. Gewerkschaften verhandeln mit der arbeitgebenden Seite im Rahmen der Kollektivverhandlungen die sogenannten Kollektivverträge (in Deutschland Tarifverträge, in der Schweiz Gesamtarbeitsverträge), in denen insbesondere Löhne, Gehaltsgruppen, Arbeitszeitregelungen, Urlaubstage, Kündigungsfristen und Zuschläge festgehalten werden. In Österreich liegt die Deckung mit Kollektivverträgen bei knapp 98 Prozent aller Arbeitnehmer:innen im privaten Sektor – in Deutschland und der Schweiz sind es jeweils nur etwa die Hälfte. Die Gründe hierfür sind vielfältig und können nicht allein aus der erhobenen Empirie hergeleitet werden. Ich denke aber, zugespitzt gesagt, dass der Mangel an Interesse an Solidarstrukturen innerhalb der Produktionssphäre nicht zuletzt damit in Verbindung steht, dass die Lohnarbeit als Fabrikarbeiterin ohnehin keine Identifikationsfläche für die Befragten bietet, wodurch die Grundlage für das Interesse an kollektiver Organisierung zu fehlen scheint.
«Das hat es früher nicht gegeben» – Retronormatives Begehren
Wie eingangs erläutert, stellen die Gesprächspartnerinnen eine Überforderung auf individueller aber auch gesellschaftlicher Ebene fest. Diese Überforderung, die die Gegenwart kennzeichnet, mündet bei vielen von ihnen in der wiederholten Referenz auf das längst erodierte Modell des männlichen Alleinverdieners:
«Weil wie gesagt, man ist gezwungen, damit man sich ein bisschen was aufbauen kann, dass beide arbeiten. Das hat es früher nicht gegeben, früher war die Mutter zuhause. Sicher, es ist schön, dass die Mütter auch mehr arbeiten dürfen und auch mehr Rechte haben. […] Aber du bist gezwungen, arbeiten zu gehen, sonst hast du nichts zu essen. Und das ist das, was eigentlich sehr negativ ist.» (Interview mit Janine Lehner, August 2022).

Janine Lehner stellt in dieser Passage fest, das habe «es früher nicht gegeben, früher war die Mutter zu Hause». Wie sie rekurrieren viele Interviewte positiv auf «diese Zeit» und dieses Modell, indem sie auf die damit einhergehende finanzielle und gewissermassen existenzielle Sicherheit verweisen, die sie in der Gegenwart nicht mehr vorfinden. Ich lese diese Referenzen auf die Zeit des fordistischen Familienmodells, in der der Mann als Familienernährer fungierte, als ein retronormatives Begehren: Bei diesem Begehren geht es nicht zuletzt auch um das Erlangen einer «moralischen Qualifikation», die sich Frauen in ihrer «Familienkarriere» «mit dem Gebären und Aufziehen des ersten Kindes» erarbeiten. Diese «Qualifikation» wurde im fordistischen Familienmodell teils auch mit der materiellen Absicherung durch den Partner abgegolten, wodurch «der Status der verheirateten Frau und Mutter die Grundlage lebensgeschichtlicher Identität bilden» konnte (Eckart, Christel, Ursula G. Jaerisch, Helgard Kramer 1979: Frauenarbeit in Familie und Fabrik. Untersuchung von Bedingungen und Barrieren der Interessenwahrnehmung von Industriearbeiterinnen, Frankfurt am Main/ New York, 41). Ebendiese moralische Qualifikation verlor im Prozess der umfassenden gesellschaftlichen Transformationen der letzten Jahrzehnte in mehrerer Hinsicht an Wert – auch im materiellen Sinn, da die Möglichkeit zur Konvertierung dieser symbolisch-moralischen Währung in die Sicherung eines respektablen Lebens abnahm.
Dieses retronormative Begehren wurde über die letzten Jahre sukzessive in rechte Diskurse und damit in ihre Mobilisierungsstrategien eingewoben. Sie werden insbesondere, das zeigen mehrere Untersuchungen auf, in den rechtspopulistischen Antagonismus («das Volk» / «die Eliten») eingebunden ( Siehe bspw. Mayer, Stefanie, Iztok Šori, Birgit Sauer, Edma Ajanović 2018: Mann, Frau, Volk. Familienidylle, Heteronormativität und Femonationalismus im europäischen rechten Populismus, in: Feministische Studien, 36/2, 269–285). Rechte Inhalte verfangen nicht zuletzt deshalb, da sie Ängste und Unsicherheiten adressieren, die durch prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen entstanden. Entlang der Betonung von gemeinschaftlichen, solidarischen und vor allem familiären Werten, wird die Familie als idealer Zufluchtsort vor den Unsicherheiten des Neoliberalismus inszeniert (Graff, Agnieszka, Elżbieta Korolczuk 2021: Anti-Gender Politics in the Populist Moment, London, 114–136).
Für die Protagonistinnen meiner Forschung bieten «die Rechten» – im Kontext der Forschung, konkret die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) – ein vermeintlich vielversprechendes Angebot: Ihnen gelingt es, den Alltagsverstand 12 der Frauen umfassend anzurufen, indem sie explizit deren Erfahrungswelt, aber auch bestehende Meinungen sowie Wert- und Moralvorstellungen adressieren. Die reproduktive Sphäre wird dabei auf mehreren Ebenen als eine zu schützende Arena inszeniert: In ihr bewegen sich hilfs- und schutzbedürftige Frauen, die dort ihrer vermeintlichen Kernaufgabe – der Haus- und Sorgearbeit – nachgehen. Das auf Antonio Gramsci zurückgehende Konzept des Alltagsverstandes wurde weder von ihm selbst eindeutig definiert noch in der Rezeption einheitlich verwendet (Opratko, Benjamin 2012: Hegemonie. Politische Theorie nach Antonio Gramsci, Münster, 44–47). Für den vorliegenden Text wird darunter ein Wissen verstanden, das aus verbreiteten Meinungen, moralischen Vorstellungen und Alltagserfahrungen besteht und als unmittelbare Reflexion der sozialen Realität erscheint (vgl. Sutter, Ove 2016: Alltagsverstand. Zu einem hegemonietheoretischen Verständnis alltäglicher Sichtweisen und Deutungen, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, LXX/119, 41–70., 55). Entlang des vorgestellten empirischen Materials kann meines Erachtens festgehalten werden, dass viele der Befragten sich durch solche ideologisierten Inhalte repräsentiert fühlen – viele der Gesprächspartnerinnen taten ihre Affinität zur FPÖ auch offen kund.
Es scheint mir zentral zu sein, informierte Strategien zu entwerfen, die (auch) diesen Alltagsverstand (die FPÖ proklamiert in ihrer Programmatik stets die Existenz von lediglich zwei Geschlechtern und negiert explizit alle Formen der Genderquerness) adressieren, ohne ihn – und das scheint gegenwärtig leider keine Selbstverständlichkeit zu sein – selbst als «Massstab politischer Positionen miss[zu]versteh[en]» (Opratko, Benjamin 2012: Hegemonie. Politische Theorie nach Antonio Gramsci, Münster, 46). Das bedeutet nicht zuletzt, die Herausforderungen der Sorgearbeit miteinzuschliessen, sie aber nicht zu romantisieren.
Bemerkungen:
Der Forschung liegen 26 teilstrukturierte Interviews zugrunde sowie einige weitere Gespräche mit Mitgliedern von Gewerkschaften und Betriebsräten. Zusätzlich arbeitete ich während mehrwöchiger Forschungsaufenthalte in zwei Fabriken (jeweils im Juli 2022 und 2023) in der Region mit, um im Sinne einer ethnografischen Forschung über «teilnehmende Beobachtung» vertiefende Erkenntnisse zu erhalten. Die Namen der Gesprächspartnerinnen sind Pseudonyme.
Laura Bäumel ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich. In ihrer Dissertation untersucht sie die Schnittstelle von Produktions- und Reproduktionsarbeit am Beispiel von Fabrikarbeiterinnen in der Steiermark.
Lieber Küche als Fabrik – Über das retronormative Begehren arbeitender Mütter
erschien am 18.06.2025 im For Magazin #10 Fear Market Solidarity Fear und steht im Dialog mit der Ausstellung Grounds im For, Basel.