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«Touch Wood» im ZAZ Bellerive

Das Zentrum Architektur Zürich hat sich in den vergangenen Jahren trotz Covid-Pandemie im ehemaligen Museum Bellerive etabliert und mit einer Reihe unspektakulär auftretender, aber intelligent gemachter Ausstellungen auch über die engere Architekturszene hinaus einen Namen gemacht. Die aktuelle Ausstellung Touch Wood. Material_Architektur_Zukunft stellt Kultur und Materialität des Holzes in den Kontext der Debatte um eine umweltfreundliche Architektur der Zukunft. Ein sehenswerter und anregender Aufschlag mit Potential für umfangreichere Vorhaben.

«Neulich im Museum» ist eine neue Kolumne von «das bulletin. Für Alltag und Populäres». Sie will den kulturwissenschaftlichen Blick auf die Institution Museum und das populäre Medium Ausstellung schärfen und dem nach wie vor vernachlässigten Genre der Ausstellungskritik einen Platz geben. Dazu erscheinen in loser Folge knappe Berichte von Besuchen in kleinen und grossen Museen des In- und Auslands, sichtbaren und weniger sichtbaren, solchen mit deutlicherem Bezug zur Kulturwissenschaft des Alltags und auch solchen, bei denen sich dieser nicht auf den ersten Blick erkennen lässt.

«Holz ist mit einer Aufbruchstimmung verbunden» postuliert die Ausstellung in den nach wie vor angenehm provisorisch adaptierten Räumen der noblen Villa aus den 1930er Jahre im Berliner Stil. Neben den Edelhölzern weniger erhaltener Türen beschränkt sich der Platz dieses Materials in der historischen Ausstattung des Gebäudes ironischerweise auf das mächtige offene Kamin in der zum Garten und See hin offenen Lobby – ein sympathischer Widerspruch, der durch die Öffnung der Villa zu den Anlagen am Seeuferweg hin noch verstärkt wird.

Ein unregelmässig angelegter Steg führt vom Ufer durch den Garten direkt auf den Terrasseneingang zu, markiert von den skulpturhaft gestapelten Brettern einer gewaltigen vielhundertjährigen Eiche aus Slawonien. Das ZAZ signalisiert damit einmal mehr seinen Anspruch, ein offener und inklusiver Ausstellungsraum zu sein, der das Thema Architektur breit und immer mit Blick auf seinen Platz in der Gesellschaft diskutieren will.

Öffnung zum Seeuferweg – und zur Gesellschaft: Das ZAZ Bellerive – Zentrum Architektur Zürich mit «Badesteg» und Bretterstapel (Foto: Bernhard Tschofen).

Technologie und Ökologie des Holzes sinnlich erfahrbar gemacht

Der Ausstellung geht es um Zukunftsfragen rund ums Holz, weniger um das, womit das Material gerne auch verbunden wird, nämlich Emotion, Tradition und Natur. Freilich werden diese Ambivalenzen nicht ausgeblendet und an gegebener Stelle auch für die Argumentation genutzt. Gleich in den zuerst einsehbaren unteren Räumen macht die Ausstellung klar, mit welchem Anspruch sie antritt. Unmissverständlich vermitteln sich hier der Studiencharakter, das Experimentelle und Interesse am Technischen, besonders etwa in dem als Studiensammlung gestalteten Raum mit Modellen jüngerer Holzbauten.

Wie in einem Lager sind hier die Modelle zahlreicher Projekte in Hochregalen versammelt, von bekannten Bauten etwa von Gion Caminada oder Herzog & de Meuron bis zu weniger bekannten, nicht nur aus der Schweiz. Sie geben eindrucksvoll etwas von dem Spannungsverhältnis zwischen den elementaren Grundformen und dem technologischen Aufwand gegenwärtiger, oft mehrgeschossiger Holzkonstruktionen preis. Ein Aspekt, der in einem weiteren Raum etwa mit Blick auf Holzverbindungen und die Kombination mit anderen Materialien wie Lehm, Beton oder Stahl vertieft wird. Die Denkfigur von Innovation aus Tradition braucht dafür überhaupt kein pathetisches Gewand.

Eine Versammlung technischer Meisterleistungen ganz in Holz: Modelle jüngerer Holzkonstruktionen von Schweizer und internationalen Architekt:innen (Foto: Bernhard Tschofen).
Computer trifft auf Krummholz, Leimbinder auf Glasfaser und Beton: «Touch Wood» will zeigen, was technisch möglich ist und wie damit Ressourcen geschont werden können (Foto: Bernhard Tschofen).

Trotzdem kommt in dieser insgesamt behutsam gestalteten Ausstellung das Sinnliche nicht zu kurz und gibt es Bereiche, in denen die Objekte und Arrangements ganz ohne Erklärungen Evidenz schaffen. Baumscheiben mit Jahresringen und Fundstücke von Holz aus mehreren tausend Jahren zeigen im oberen Foyer, was aus ihnen über die Klimaentwicklung oder Waldbrände alles abzulesen ist, und erinnern zugleich an die Langsamkeit des Materials. Und ein objektartig arrangierter Stapel mit Hölzern aus einer Zürcher Holzhandlung führt mit einigen Raritäten wie der Ulme, Kastanie oder Elsbeere nicht nur die eindrucksvolle Vielfalt heimischer Holzarten vor, sondern erinnert auch an die Bedeutung der Holzsortierung und -lagerung, vor allem aber daran, dass heute aus wirtschaftlichen Gründen darauf oft verzichtet wird und immer weniger Holzarten genutzt werden.

«In Vergessenheit»: Skulpturaler Bretterstapel mit heimischen, heute kaum noch verwendeten Nutzhölzern als beispielhafter Hinweis auf die zahlreichen Widersprüche des aktuellen Holzbooms (Foto: Bernhard Tschofen).

Mit sinnlichen Zugängen wird dann auch in der Klanginstallation «Growth Model» das unterschiedliche Wachstum von Eschen an verschiedenen Standorten akustisch erfahrbar gemacht, während ein kleiner Kinoraum für ein paar Minuten in die Welt der Holzfäller und Flösser am Ägerisee eintauchen lässt. Hier wird der Kurzfilm «Ins Holz» auf der Grundlage der Dokumentation «Vom Flössen am Ägerisee» (Thomas Horat, Corina Schwingruber Ilić, Mythenfilm 2017) gezeigt – ein Film über die harte und gefährliche Arbeit im steilen Bergwald hoch über den unzugänglichen Ufern des Sees, der mit starken Atmosphären arbeitet und bis auf das ausgiebige «Znüni» in einem einfachen Unterstand (fast) ohne Worte auskommt. Seine Unmittelbarkeit kommt ganz vom Gesang der Kettensägen, vom Krachen des Holzes und vom Schnauben der wortkargen Männer. Damit ergibt sich ein schöner Kontrast zu der geradlinigen Präsentation der Wege des Holzes in der Bildstrecke «Wald, Holz, Architektur», für die der Fotograf Stephan Rappo das Holz aus dem Forstrevier zu Holzbaufirmen und in die Hallen des modernen Modul- und Verbundbaus begleitet hat. Hier würde man sich etwas ausführlichere Informationen zu Wissen, Praktiken und ökonomischen Logiken des aktuellen Holzbautrends wünschen.

Die Konjunktur des Holzes reflexiv begleiten

Doch mangelt es der Ausstellung nicht an diskursiven Einlassungen. Vor allem die Diskussion der Konsequenzen aus der derzeitigen Euphorie und dem Ruf nach «Mehr Holz» fällt zum Glück nicht ganz unter den Tisch. Hier zeigt sich, dass das ZAZ, eine Initiative der vier Träger ETH Zürich, BSA Zürich, SIA Zürich und Architekturforum Zürich, nicht zuletzt auch Vermittler für die Praxis sein und der Architekturszene Anregungen geben will, Politiken und Praktiken des Planens, Bauens und Bewirtschaftens des sozialen Raums in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Debatte eröffnen: Thesensammlung zum Ruf nach «Mehr Holz» und seinen Konsequenzen für Umwelt und Gesellschaft (Foto: Bernhard Tschofen).

Was in der Ausstellung abschliessend an einem grossen «Verhandlungstisch» ausgebreitet wird, enthält mit Postulaten wie «Mehr Diversität» (in Bezug auf die Verwendung von Holzarten und -qualitäten), «Wissen teilen» oder «Regionales Holz verwenden» zugleich einen ganzen Katalog von Themen, die sich in einem interdisziplinären Rahmen von Architekturforschung und Kulturwissenschaft produktiv weiterdenken liessen. Denn – das zeigt diese Ausstellung sehr eindrucksvoll – eine nachhaltig und ressourcenschonend gestaltete Zukunft braucht nicht nur die öffentliche Debatte, sondern auch mehr Wissen und Reflexion über kulturell situierte Werte und Vorstellungen sowohl vom geglückten Zusammenleben als auch vom richtigen Umgang mit Ressourcen.

«Touch Wood. Material_Architektur_Zukunft» bis 30. Oktober 2022 im ZAZ Bellerive – Zentrum Architektur Zürich.

Zur Ausstellung ist ein komplementär angelegter Sammelband erschienen: Carla Ferrer, Thomas Hildebrand, Celina Martinez-Cañavate (Hg.): Touch Wood. Material_Architektur_Zukunft. Zürich 2022.

Bernhard Tschofen

Bernhard Tschofen ist Professor für Populäre Kulturen an der Universität Zürich. Er war nach dem Studium der Empirischen Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte in Innsbruck und Tübingen unter anderem im Museumswesen tätig, dann an der Universität Wien. Von 2004 bis 2013 hatte er eine Professur an der Universität Tübingen inne. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Berührungsflächen von Alltags- und Wissenskulturen sowie raumkulturelle Fragen in Geschichte und Gegenwart. In der Kolumne «Neulich im Museum» berichtet Bernhard Tschofen für das bulletin von Besuchen in kleinen und grossen Museen des In- und Auslands und reflektiert das populäre Medium Ausstellung.
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