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Ein Interview über das Projekt Biokompetent

Die Webseite Biokompetent.de stellt Informationen zur biologischen Landwirtschaft bereit und entwickelt innovative Kommunikationsmöglichkeiten, um die gesellschaftliche Wahrnehmung positiver Effekte biologischer Landwirtschaft zu fördern und das Vertrauen in ökologisch produzierte Lebensmittel zu stärken.

Ein Gespräch mit JProf. Dr. Antje Risius und Dr. Torsten Näser.

Zum Projekt: Die Webseite biokompetent.de ist aus dem inter- sowie transdisziplinären Forschungsprojekt „Authentizität und Vertrauen bei Bio-Lebensmitteln“ hervorgegangen und stellt Informationen zur biologischen Landwirtschaft bereit. In Kooperation mit dem Department für Agrarökonomie, dem Institut für Kulturanthropologie und dem Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen und der Hochschuldidaktik der Universität Göttingen werden innovative Kommunikationsmöglichkeiten entwickelt, um die gesellschaftliche Wahrnehmung positiver Effekte biologischer Landwirtschaft zu fördern und das Vertrauen in ökologisch produzierte Lebensmittel zu stärken. Die Förderung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, finanziert über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Das Projekt koordiniert JProf. Dr. Antje Risius.

Christine Hämmerling (CH): Wir sind kürzlich auf eure Homepage biokompetent.de gestossen. Bei dem Projekt haben ja unterschiedliche Disziplinen und Praxispartner zusammengearbeitet: Wie seid ihr das angegangen und welche Fragen standen am Anfang?

Antje Risius (AR): Ich komme aus dem Bereich der Agrarökonomik und wir haben uns bezüglich des Vertrauens in die Lebensmittelwirtschaft insgesamt und in Bio im Speziellen gefragt: Welche Möglichkeiten gibt es, dieses Vertrauen zu erfassen oder auch zu schaffen? Und diesen Prozess haben wir analysiert. Wir haben zunächst eine Status-Quo-Befragung durchgeführt, dann die Analyse, Entwicklung und Gestaltung von unterschiedlichen Materialien gemacht. Das Projekt ist interdisziplinär aufgebaut, fokussiert aber auf die Agrarwissenschaft.

Torsten Näser (TN): Durch die Kulturanthropologie sind vor allem zwei wesentliche Aspekte hineingekommen: einmal die mediale Vermittlungsidee und -kompetenz, weil von vorneherein ein Ziel darin bestand, die Entscheidungen beim Bio-Einkauf nicht nur zu analysieren, sondern auch auf die Einkaufenden einzuwirken im Sinne einer vertrauenssteigernden Maßnahme. Und die Idee war, das über dokumentarische Videos zu machen, um bei Verbrauchern ein gesteigertes Vertrauen zu erzeugen und gleichzeitig dem eigenen Projekt auch reflexiv zu begegnen, insbesondere bezüglich der Begriffe Vertrauen und Authentizität, die im Titel des Projekts stehen.

AR: Wir sind an Nachhaltigkeit interessiert, sehen aber, dass das in der alltäglichen Lebenswelt bei Einkaufsentscheidungen kaum Platz findet. Wir fragen uns: Warum ist der Biomarkt immer noch Nischenmarkt, wenn doch so viele Menschen sagen, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist? Das ist ein Konflikt, den wir nicht allein über Literatur nachvollziehen können, da müssen wir forschen.

Wir sind an Nachhaltigkeit interessiert, sehen aber, dass das in der alltäglichen Lebenswelt bei Einkaufsentscheidungen kaum Platz findet.

CH: Könnt ihr diesen Kern des Projekts nochmal umreißen?

TN: Wir haben uns im Projekt auf die Gruppe der Käuferinnen und Käufer konzentriert, die nicht grundsätzlich abgeneigt sind, Bio zu kaufen. Nicht im Fokus standen Personen, die nur oder gar kein Bio kaufen. Wir haben uns in dieser Art beschränkt, weil wir die Hoffnung hatten, dass wir da was bewirken können, den Anteil an biologisch erzeugten Lebensmitteln, den die Leute kaufen, noch ein bisschen zu erhöhen. Das war die Zielgruppe des Projekts. Wir haben dafür Leute bei den Einkäufen begleitet und Interviews geführt. Unser Ziel war es, herauszufinden, wo schon Vertrauen in biologisch erzeugte Lebensmittel da ist und wo es zu Vertrauensstörungen kommt. So haben wir erstmal Daten generiert, um zu sehen: In welchem Diskursfeld bewegt sich das eigentlich und an welchen Punkten können wir versuchen anzusetzen und Vertrauen zu stärken?

CH: Könnt ihr noch etwas mehr dazu erzählen, wie ihr mit den Begriffen Vertrauen und Authentizität in dem Projekt umgeht?

TN: Wir haben da zwei Ebenen: Einmal müssen wir normativ damit umgehen, also uns überlegen, wie Vertrauen sich vermitteln lässt. Gleichzeitig ist ja unser erster Impuls als Kulturwissenschaftler, zu gucken, wie ist der Vertrauensbegriff situiert, wie können wir ihn dekonstruieren? Das hat dazu geführt, dass wir ein paar spannende Sachen herausgefunden haben, darüber, was das Vertrauen in Biolebensmittel und ihren Vertrieb schwächt oder stärkt. Dabei wurde deutlich, dass das Bio-Siegel oft auf derselben Ebene rangiert wie bestimmte Begriffe, die gar keine rechtsverbindlichen Aussagen treffen, zum Beispiel «regional» – durch den Bezug zum persönlichen Erfahrungsbereich wird Vertrauen generiert. Gesetzlichen, größeren politischen Strukturen wird dagegen weniger vertraut. Demeter erscheint da kleinförmig, dem wird mehr Vertrauen entgegengebracht als dem EU-Bio-Siegel. Lokale Nähe hat offensichtlich eine unglaubliche Wirkung. Also wenn ich den Metzger oder den Bäcker persönlich kenne, dann bilde ich mir auch ein zu wissen, wo seine Tiere herkommen oder wo das Getreide geerntet wird, was dann hinterher verarbeitet wird, was ja mitnichten der Fall ist und was im Grunde genommen gar nicht geregelt ist, sondern eigentlich nur ein bestimmtes Gefühl oder eine Vorstellung von etwas ist. Mit so einem diffusen Vertrauenswissen konkurriert aber ein Bio-Label.

Dabei wurde deutlich, dass das Bio-Siegel oft auf derselben Ebene rangiert wie bestimmte Begriffe, die gar keine rechtsverbindlichen Aussagen treffen, zum Beispiel «regional» – durch den Bezug zum persönlichen Erfahrungsbereich wird Vertrauen generiert.

Laila Gutknecht (LG): Um ein bisschen auf den Inhalt der Webseite einzugehen: Diese Nähe, die du jetzt gerade beschrieben hast, die wichtig ist, habt ihr durch die Porträts und durch die Menschen, die im Fokus stehen auf der Webseite versucht, herzustellen?

TN: Genau, im Prinzip haben wir versucht, dieses Moment aufzugreifen und wichtige Informationen über Bio über persönliche Geschichten zu vermitteln, also durch ausgewählte Akteure, die in unterschiedlichen Bio-Bereichen aktiv sind, die produzieren, aber auch kontrollieren. Wir haben wirklich versucht, denen ein Gesicht zu geben und sie auch ein bisschen zu lokalisieren. Wir haben uns da auf die Bereiche konzentriert, von denen wir das Gefühl haben, dass sie eine besondere Relevanz haben, deswegen sind Kontrollen mit dabei, neben Obst, Gemüse, Milchprodukten und verarbeiteten Lebensmitteln.

CH: Wie habt ihr die Leute für die Homepage ausgewählt?

TN: Bei der Auswahl ging es auch wieder darum, wer was unter Authentizität versteht. Unserem Kooperationspartner, dem Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen (KÖN), war es zum Beispiel sehr wichtig, dass alle Personen, die in den Videos vorgestellt werden, viele Jahrzehnte Erfahrung im Bio-Sektor haben, also sozusagen authentisch echte Bio-Lebensmittler sind. Und wir haben eher auf den vermittelten Aspekt von Authentizität geachtet und haben geguckt: Was passiert in der Rezeption der Videos, wenn welche Leute für den Bio-Sektor stehen? Wir hätten zum Beispiel gerne einen Produzenten von einem hoch verarbeiteten Lebensmittel gehabt und damit auch ein Produkt, das so wie Fertigpizza erstmal gar nicht unbedingt mit gesund assoziiert wird, um deutlich zu machen, Bio und gesund muss nicht unbedingt dasselbe sein. Bio-Lebensmittel werden nicht nur in kleinen Betrieben hergestellt, sondern die können auch hochindustriell verarbeitet werden, in großen glänzenden, sauberen Hallen, wo die einzelnen Bestandteile mit LKWs angeliefert werden. Das war, auch coronabedingt, nicht möglich. Wir haben dann mit der Bohlsener Mühle, einem mittelständischen Unternehmen, das Backwaren produziert, einen guten Kompromiss gefunden.

CH: Wie seid ihr jetzt mit dem Anspruch, Authentizität darzustellen, in dem Projekt umgegangen? Denn Ziel der Homepage ist es ja, den Leuten «vielseitige, informative und authentische Einblicke in die Biolandwirtschaft» zu geben.

TN: Dieser Satz, den du jetzt zitiert hast, der ist auch ein Zugeständnis an die anderen Akteure im Projekt, die unter diesem Begriff was anderes verstehen. Das würde da, glaube ich, wenn es jetzt eine Seite wäre, die rein kulturwissenschaftlich situierte Erkenntnisse hätte vermitteln wollen, so nicht stehen. Das ist dem interdisziplinären Zugang geschuldet und zeigt, dass man sich dafür sensibilisiert, dass in unterschiedlichen Disziplinen Begriffe auch unterschiedliche Bedeutungen haben. Daher macht das für mich schon auch einen gewissen Sinn, hier von «authentisch» zu sprechen. Insofern haben wir mit dieser Ambivalenz auch versucht umzugehen.

Aus der Verbraucherökonomie heraus argumentiert, kann ich sagen: ja, Vertrauen braucht eigentlich einen Wissenskorpus.

CH: Biokompetent.de baut sehr auf Wissen. Kann man sagen, dass das die Idee war? Vertrauen erwecken durch Wissensvermittlung?

AR: Aus der Verbraucherökonomie heraus argumentiert, kann ich sagen: ja, Vertrauen braucht eigentlich einen Wissenskorpus. Es gibt auch das emotionale Vertrauen und eben quasi die soziale Einbindung. Aber diese kognitive Komponente ist auf jeden Fall eine starke, die wir auch als Hypothese mit betrachtet haben.

TN: Das ist tatsächlich aus unserer Zusammenarbeit entstanden. Mir ist aber auch nicht so klar bewusst gewesen, wie heikel einige dieser faktischen Informationen sind und wie schnell man damit daneben liegen kann. Da geht es auch um rechtliche Konsequenzen.

AR: Dabei haben sich auch die Bio-Standards gewandelt, die unterliegen auch einem Prozess. Diese Dynamik offen zu kommunizieren, ist auch eine Stärke der Landwirte, die darüber berichten. Für die ist es einfach eine Lebenswirklichkeit. Es besteht immer noch die Gefahr, dass vielleicht etwas falsch verstanden wird, aber wir können sagen, bisher sind wir ganz gut verstanden worden. Dafür hatten wir auch verschiedene Reflexionsphasen. Mit einem sozialempirischen Mixed-Methods-Design haben wir getestet oder angefragt, was wie verstanden wurde und was das auch für das Vertrauen bedeutet.

Die Webseite Biokompetent.de stellt Wissen über Biolebensmittel bereit. (Screenshot von der Homepage biokompetent.de, Januar 2024)

LG: Wenn wir gerade bei den Rezipienten sind: Es gibt ja ganz unterschiedliche Begründungen für den Kauf von Bio. Also den einen geht es eher um das Tierwohl,

den anderen um die Biodiversität, den dritten vielleicht um Gesundheit. Wie habt ihr diese unterschiedlichen Motivationen mit aufgenommen?

AR: Sie zeigen sich in den unterschiedlichen Zugängen, die man auf der Homepage wählen kann. Unsere Hypothese war, dass unterschiedliche Wissensbestände da sind in Bezug auf die einzelnen Themen. Der eine interessiert sich für Tierhaltung, der andere für Biodiversität. Wir haben die Homepage so aufgebaut, dass man schnell an die verschiedenen Informationen kommt.

LG: Und wie sind so die Rückmeldungen, die ihr bisher von verschiedenen Seiten bekommen habt zur Homepage?

AR: Tatsächlich sind es zur Homepage wirklich gute Rückmeldungen. Wir haben zur Evaluation auch eine psychometrische Vertrauensskala eingesetzt. Anhand dieser Skala können wir sagen, das Vertrauen ist höher nach dem Besuch der Homepage. Daneben haben wir aus den Interviews auch die Rückmeldung: Einfach schön gestaltet! Die Leute fühlen sich wohler mit dem Kauf von Bio-Lebensmittel auch beim Bezahlen von einem höheren Preis.

TN: Es ist ja auch ein gewaltiges Stück Text und Bild und Information, die Homepage. Sie ist vielschichtig und vielleicht muss man sich auch klarmachen: Die Homepage wird jetzt nicht massiv überrannt werden. Also es braucht, glaube ich, auch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, dass es auf viele Fragen auch keine einfachen Antworten geben wird, sondern dass man am Ende als Verbraucher auch immer aufgefordert ist, sich selbst zu positionieren. Darauf muss man sich, glaube ich, einlassen und das kann man vielleicht auch kritisch anmerken.

CH und LG bedanken sich für das freundliche Gespräch.

Das Interview, hier in gekürzter und redigierter Form, basiert auf einem längeren, transkribierten Gespräch, das Laila Gutknecht (LG) und Dr. Christine Hämmerling (CH) mit JProf. Dr. Antje Risius (AR) und Dr. Torsten Näser (TN) via Zoom geführt haben.

Antje Risius ist Nachwuchsgruppenleiterin der BMBF-Nachwuchsgruppe ‚WeAreOne‘, in der sie das Mensch-Tier-Natur Verständnis aus der Perspektive des One-Health-Ansatzes zu verstehen und integrieren sucht. Vorher leitete sie mehrere Projekte zum Thema Wahrnehmung, Verständnis und Umsetzung von Nachhaltigkeit, speziell im Bereich der Lebenswissenschaften. Im November 2022 hat sie einen Ruf auf die Hochschule Fulda auf die Forschungs-Professur „Nachhaltige Ernährung und Versorgung“ angenommen.

Torsten Näser arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen. In seiner Lehre und Forschung beschäftigt er sich vor allem mit visueller Anthropologie, wobei seine Interessensschwerpunkte neben der Theorie und Praxis des ethnografischen Films auch im Bereich der Fotografie, der Filmanalyse und der Medienpraxisforschung liegen.

Christine Hämmerling

Christine Hämmerling ist seit September 2024 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Universität Göttingen. 2014 bis 2023 war sie Oberassistentin am ISEK – Populäre Kulturen, Universität Zürich. Nach dem Studium in Tübingen und Prag ([Today is a Holiday, 2012](https://tvv-verlag.de/publikationen/today-is-a-holiday-freizeitbilder-in-der-fernsehwerbung/)) beschäftigte sie sich mit sozialen Positionierungen beim Medienkonsum ([Sonntags 20:15 Uhr, 2016](https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-266-2)). Aktuell forscht sie zu Vertrauen und Authentizität in Professionalisierungsprozessen.
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Laila Gutknecht

Laila Gutknecht studierte an der Universität Zürich Kulturanalyse, Filmwissenschaft und Gender Studies. Aktuell ist sie Assistentin am Institut für Sozialanthropologie und empirische Kulturwissenschaft und schreibt an ihrer Dissertation zum Thema lokale Nahrungskulturen in der Stadt. Sie interessiert sich zudem für Visuelle Ethnographie und digitale Kulturen und Methoden.
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