
Sich in der Pflege verstehen, ohne dieselbe Sprache zu haben
Fledermäuse sprechen zwar keine menschliche Sprache, aber sie kommunizieren. In der Praxis der freiwilligen Fledermauspflege lernen Pflegende, die Körpersprache und Verhaltensweisen der nichtmenschlichen Tiere zu lesen und zu interpretieren. Durch diesen Lernprozess kann es zu einem Interspeziesverstehen kommen, das positive Auswirkungen auf die Pflege haben kann.
Um in das Thema Mensch-Tier-Kommunikation einzusteigen, möchte ich mit einer gekürzten Vignette[i] aus meiner Dissertation[ii] starten.

Während ich am Tisch sitze und eine Fledermaus in der Hand habe, spüre ich ihre Wärme. Sie ist noch etwas kühl, da ich sie erst gerade aus ihrer Box geholt habe. Sie muss sich zuerst noch genügend aufwärmen, damit ich sie füttern kann. Ich spüre ihren Herzschlag an meinem Finger und das Muskelzittern, um sich aufzuheizen. Ich beginne eine erste Mehlkäferlarve zu köpfen und auszudrücken. Dann nehme ich den Inhalt mit einer Pinzette hoch und halte ihn der Fledermaus vors Gesicht. Sie beginnt langsam zu knabbern und verleibt sich dann immer aktiver die Nahrung ein. Mit der Zeit stürzt sich die Fledermaus regelrecht auf den Mehlwurmbrei an der Pinzette. Dabei kommt sie mit der einen Daumenkralle am Flügel nach vorne, wodurch Mehlwurmbrei sich darauf verteilt. Immer wieder versucht sie loszufliegen und ich kann sie nur in letzter Minute davon abhalten stiften zu gehen. «Jetzt warte! Nein nicht nach vorne kommen», hört man mich zur Fledermaus sprechen. Die Fledermaus öffnet ihren Mund und beginnt zu zetern. «So unruhig, hmmm? Wer so ein unruhiges Fledermäuschen ist, dem wird das Mäulchen gefüllt.» Und mit dieser Aussage stecke ich der Fledermaus einen geköpften Mehlwurm ins offene Maul. Sie beginnt darauf herumzukauen, doch schafft es nicht ihn im Maul zu behalten. Die Fledermaus beginnt sich noch mehr aufzuheizen und wird sehr heiss. Um sie vor einem Hitzekollaps zu schützen, lege ich sie auf den metallenen Tisch in der Station. «Time out – Time out habe ich gesagt.» Nach wenigen Minuten auf dem Metalltisch und einigen Ausbrechversuchen aus meinen Händen (ich habe eine Höhle mit den Händen über ihr geformt), beruhigt sie sich so weit, dass ich mit dem Füttern weitermachen kann. Ich füttere die Mehlwürmer mit der Pinzette weiter. «Jetzt hast du es überall im Gesicht – überall und ich weiss, dass du es nachher doof findest, wenn ich wieder mit einem Wattestäbchen putzen muss. Überall im Gesicht, ist unglaublich du flauschiges Ding», spreche ich mit der Fledermaus in meiner Hand. Ich spüre ihre Bewegungen in den Händen und nach 14 Mehlkäferlarven beginnt sie auf eine andere Art unruhig zu werden. Sobald ich ihr die 15te Portion vor ihr Gesicht halte, beginnt sie den Kopf wegzudrehen und versucht aus meiner Hand zu entkommen. «Willst du kein Dessert mehr?», frage ich die Fledermaus. Doch nach ein paar Versuchen merke ich, jetzt ist definitiv genug – sie will nicht mehr. So putze ich noch ihr Gesicht, damit keine Reste vom Mehlkäferlarven-Brei mehr dort hängt und lege sie zurück in die Box. «Ja du kannst ja schon wieder gehen.» Sage ich ihr noch, während sie sich im Holz verkriecht und ich die Box schliesse und mich der nächsten Fledermaus zuwende.
Mögliche Kommunikationsweisen einer Fledermaus
Wie in der Eingangsvignette angesprochen, kommunizieren Fledermäuse in der Pflege auf unterschiedliche Art und Weise. Die Kommunikationsweise kann je nach Fledermausart, Gesundheitszustand und Situation stark variieren. So ist es eine Tatsache, dass nicht jede Fledermaus, die zickig ist oder zetert, unzufrieden ist oder Schmerzen hat. Die Verhaltensweisen sind artspezifisch, so würde eine Weissrandfledermaus eher ruhig und gelassen in deiner Hand sitzen, während eine Bartfledermaus oder eine Zwergfledermaus nur schon zu zetern beginnt, wenn du die Box öffnest. Wie oben geschildert, gibt es beispielsweise gegen Ende jeder Fütterung unterschiedliche Verhaltensweisen, wie eine Fledermaus reagiert, wenn sie keine Nahrung mehr möchte. So kommt das in der Vignette beschriebene Kopf wegdrehen sehr häufig vor. Es kann auch sein, dass die Fledermäuse beginnen, den Kopf stark zu schütteln, sodass der Nahrungsbrei auf dir statt in ihr endet. Auch werden sie häufig unruhig und wollen aus der Hand weg, wie dies auch eingangs geschildert ist. Jedoch nicht nur ‹Kein Hunger mehr› wird kommuniziert, auch gibt es Schmerzhaltungen, die die Individuen einnehmen – hier sind artspezifische Unterschiede zu erkennen. Oder generelles Unwohlsein wird kommuniziert: Wenn den Fledermausindividuen beispielsweise zu heiss wird, werden sie unruhig oder wollen der Fütterungsposition entkommen. Was heisst das nun für die Pflege und wie lassen sich diese Verhaltensweisen interpretieren?
Fledermaus lesen – menschliche Interpretation von tierlichen Verhaltensweisen
Dass Fledermäuse kommunizieren, zeigt der Abschnitt oben und ist auch von vielen Pflegenden bestätigt worden. Mit der Erfahrung innerhalb der freiwilligen Fledermauspflege können Pflegende mehr und mehr die Verhaltensweisen von Fledermäusen (richtig) deuten und interpretieren. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus habe ich gemerkt, dass es mir zwischenzeitlich viel besser gelingt eine Fledermaus zu ‹lesen›. Ich kann ihr Verhalten besser interpretieren und daraus Möglichkeiten ablesen, was in der Pflege probiert werden kann, beziehungsweise was ich machen kann, damit es meinem nichtmenschlichen Gegenüber gut oder zumindest besser geht. Meine Interviewpartnerin Cathleen vergleicht die Fledermauspflege und den Erfahrungsgewinn über die Zeit mit dem Aufziehen von menschlichen Babys: Am Anfang sei man völlig überfordert und das Gleiche sei es bei Fledermäusen. Da sei man es auch und man sei froh, wenn man einen Ablauf hätte. Dann könne man sich an das Schema X halten: Bei Durst gibt man Wasser, bei Hunger Mehlwürmer, Wunden werden desinfiziert und nach tierärztlicher Anweisung versorgt usw. Mit der Zeit merke man, wie man einfach spüre, was sie bräuchten.[iii]
Mit der Erfahrung in der Fledermauspflege wird in meinen Interviews auch immer von einem Lernzuwachs gesprochen. Dieser Lernprozess ist nicht nur im Hinblick auf den eigentlichen Umgang mit den nichtmenschlichen Tieren zu erkennen, sondern eben auch im Hinblick auf die tierliche Rhetorik, wie dies Kennedy bezeichnet, die Pflegende mit der Zeit besser verstehen.[iv] Auch wenn die Individuen in der Pflege variieren, erkennt man die gleichen oder ähnliche Verhaltensweisen der Fledermäuse trotzdem. Hilfreich ist hier ebenfalls das Empathievermögen der Pflegenden gegenüber ihren Pfleglingen, welches als «Brückenpraktik», wie es Rettig nennt, gesehen werden kann. Die Empathie, zum Beispiel über «köperbasierte Empathie», hilft den Pflegenden zusätzlich, sich auf die Fledermäuse einzulassen. Ebenso hilft das Wissen um die Kommunikationsmöglichkeiten und Ausdrucksweisen von Fledermäusen, sie besser zu verstehen.[v]

Je öfter man eine Fledermaus sieht, desto besser kann das Verhalten interpretiert werden
In der freiwilligen Fledermauspflege gibt es unterschiedliche Begebenheiten, in denen Fledermäuse gepflegt werden: in der Fledermausnotpflegestation am Zoo Zürich, in externen Fledermausnotpflegestellen oder das Aufziehen von Babyfledermäusen. Bei jeder dieser drei Settings sieht man als pflegende Person die Fledermäuse unterschiedlich oft. Während in externen Pflegestellen und im Besonderen beim Aufziehen von Babyfledermäusen der Kontakt zu den Pfleglingen sehr eng ist – so werden die Jungtiere in der Babysaison häufig in einem Stoffbeutel um den Hals herumgetragen – ist die Regelmässigkeit des Kontakts in der Zentralstation am Zoo deutlich geringer. Interviewpartnerinnen, die sowohl Fledermäuse zuhause pflegen oder Babyfledermäuse aufziehen und zusätzlich in der Fledermausnotpflegestation am Zoo Zürich arbeiten, unterstreichen diese Aussage: Allein die Tatsache der intensiveren Pflege zuhause oder während der Jungtiersaison führt bei ihnen dazu, dass sie ‹ihre› Fledermäuse besser kennen und Verhaltensweisen eindeutig zuordnen können. Dies geht bei einigen Individuen sogar so weit, dass Charaktereigenschaften erkannt und bestimmte Verhaltensweisen zugeordnet beziehungsweise (richtig) interpretiert werden können. Im Interview erzählt Celia, dass sie bei den einzelnen Fledermausbabys zuhause immer wieder die gleichen Verhaltensmuster sehe und dass sie so herausfinden kann, was diese im spezifischen Fall bedeuten. Dieses Erkennen und Zuordnen mache die Pflege einfacher. Sie ergänzt ebenfalls, wenn man in der Zentralstation mehrere Tage hintereinander oder innerhalb kurzer Zeit immer wieder dieselben Individuen in der Hand hätte, könne man die Verhaltensweisen auch eindeutiger identifizieren.[vi]
Auch wenn nie mit Gewissheit gesagt werden kann, ob die Interpretation von Verhaltensweisen von Fledermäusen in der Pflege richtig ist, führt die Regelmässigkeit der Pflege und der damit zusammenhängende Erfahrungsgewinn dazu, dass trotz ungleicher Sprache ein Verstehen zwischen den menschlichen und nichtmenschlichen Individuen entsteht, das sich positiv auf die Pflege von Fledermäusen auswirken kann. So kann es zu einer stressfrei(er)en Pflegeumgebung kommen, wodurch das geschwächte und/oder verletzte Individuum (hoffentlich) besser genesen kann.
Zitation
Jenny Ammann, Sich in der Pflege verstehen, ohne dieselbe Sprache zu haben, in: das.bulletin, 11.06.2025, URL: https://empirischekulturwissenschaft.ch/de/bulletin/post/sich-in-der-pflege-verstehen-ohne-dieselbe-sprache-zu-haben.
