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«When We See Us» im Kunstmuseum Basel

Die Ausstellung «When We See Us» im Kunstmuseum Basel feiert 100 Jahre Schwarze figurative Kunst – eine Hommage an Black Joy, jenseits von Trauma und Stereotypen. Indem die Ausstellung die Besuchenden Schwarze Freude als kraftvollen Akt der Selbstermächtigung erfahren lässt, gelingt es ihr, mehr zu sein als eine Sammlung von Kunstwerken.

Bereits der Titel der Ausstellung, inspiriert von der Netflix-Serie «When They See Us», kündigt eine Umkehr des Blicks an: Es geht darum, sich selbst zu sehen und verstanden zu werden – aus der eigenen Perspektive. Die Ausstellung «When We See Us» im Kunstmuseum Basel, kuratiert von Tandazani Dhklama und Koyo Kouoh, zeigt eindrucksvoll, wie sich Schwarze Künstler:innen in den letzten 100 Jahren mit Themen wie Freude, Spiritualität und Alltäglichkeit auseinandersetzten. Anstatt sich auf koloniale Stereotype oder Erzählungen von Not und Leid zu konzentrieren, stellt die Schau Black Joy in den Vordergrund. Diese Ausrichtung macht die Ausstellung zu einem einzigartigen Ort der Selbstrepräsentation, der das Schwarze Leben in all seinen Facetten zelebriert. 

The Birthday Party (2021) von Esiri Erheriene-Essi (Fotokopien auf Leinwand) zeigt in einem lebendigen, figurativen Stil die Freude und Intimität eines gemeinsamen Moments. (Foto: Serafina Andrew)

Räume des Dialogs

Beim Betreten der Ausstellung fällt sofort das durchdachte Farbkonzept ins Auge: Ein tiefes Moosgrün und ein erdiges Terrakotta-Rot dominieren die Wände. Diese Farben sind nicht nur ästhetisch gewählt, sondern auch symbolisch aufgeladen. Sie erinnern an die panafrikanische Flagge, deren Farben – Rot, Schwarz und Grün – die Einheit, Freiheit und Stärke der afrikanischen Diaspora symbolisieren. Das Schwarz, das in der Flagge für die Menschen afrikanischer Herkunft steht, wird in der Ausstellung durch die dargestellten Personen in den Gemälden widergespiegelt. Jedes Kunstwerk zeigt figurative Darstellungen von Menschen – sei es in Gruppen oder als Einzelportraits – und bringt damit das Schwarzsein im wörtlichen und symbolischen Sinne in den Raum.

Die Kunstwerke sind ausschliesslich Gemälde, aber die Vielfalt der Techniken und Stile verleiht der Ausstellung eine aussergewöhnliche Dynamik. Von grossflächigen Leinwänden bis hin zu kleineren, fein detaillierten Portraits präsentieren die Werke das Schwarze Leben in all seinen Facetten. Die Protagonist:innen auf den Gemälden stehen im Zentrum und blicken in den Raum zurück. Es ist, als ob sie die Betrachter:innen auffordern, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sie anzusehen und gleichzeitig von ihnen angesehen zu werden. Diese Wechselwirkung wird besonders deutlich durch die grosszügige Anordnung der Werke: Die Gemälde haben viel Raum um sich herum, sodass jede:r Besucher:in die Möglichkeit hat, sich den Portraits aus verschiedenen Perspektiven zu nähern.

Raumgestaltung der Ausstellungsräume in tiefem Grün und erdigem Terrakotta-Rot: Farben, die an die panafrikanische Flagge erinnern und die Werke wirkungsvoll einrahmen. (Foto: Serafina Andrew)

Eine Einladung zur Reflexion

Ein besonderes Merkmal der Ausstellung sind die Hörstationen und Sitzmöglichkeiten, die es den Besucher:innen erlauben, die Kunstwerke nicht nur zu betrachten, sondern auch in einen stillen Dialog mit ihnen zu treten. Überall im Museum laden bequeme Sessel und Bänke, in warmen Brauntönen und auf weichen Teppichen, zum Verweilen ein. Besonders an den Hörstationen entsteht eine aussergewöhnliche Interaktion: Während die Besucher:innen in einem beigen Sessel Platz nehmen, werden sie von den Portraits auf den Gemälden umgeben – es entsteht das Gefühl, von den Dargestellten «angesehen» zu werden.

Eine Sitzecke in der Ausstellung lädt Besucher:innen ein, sich hinzusetzen und die Werke in Ruhe zu betrachten, während sie von den Porträts umgeben sind. (Foto: Serafina Andrew)

Diese subtile Wechselwirkung greift die zentrale Botschaft der Ausstellung auf: «When We See Us» – sich selbst zu sehen und von der Kunst gesehen zu werden. Die Musik, die sanft durch die Hörstationen abgespielt wird, verstärkt diese Erfahrung, indem sie den Raum mit einer warmen, kontemplativen Atmosphäre füllt. Es ist eine Einladung, sich Zeit zu nehmen, innezuhalten und die Kunstwerke in ihrer Tiefe zu erfassen.

Ein weiterer zentraler Ort der Reflexion ist der Bereich mit der Wissenswand, der Bücherstation und den Videoinstallationen. Hier werden die letzten 100 Jahre Schwarzer Kunstgeschichte visualisiert – von politischen Ereignissen über die Eröffnung von Institutionen bis hin zu wichtigen kulturellen Meilensteinen. Besucher:innen können sich durch die Daten und Informationen inspirieren lassen und diese mit den Eindrücken der Gemälde in Verbindung bringen. Besonders eindrücklich ist die Bücherstation, an der Bücher von einflussreichen Autor:innen wie bell hooks, Paul Gilroy und Audre Lorde ausgelegt sind. Es ist nicht nur eine ästhetische Ausstellung, sondern auch ein intellektueller Raum, der die Besucher:innen zur Vertiefung einlädt.

Diese Kombination aus visuellen, auditiven und intellektuellen Ebenen schafft eine Atmosphäre, die zur Auseinandersetzung mit Schwarzen Identitäten, Geschichte und Selbstrepräsentation anregt. Die grosszügige Anordnung der Werke im Raum unterstützt diese Interaktion. Die Portraits haben genug Raum, um ihre volle Wirkung zu entfalten, ohne dass sie sich den Betrachter:innen aufdrängen. Die Möglichkeit, die Werke aus unterschiedlichen Perspektiven zu entdecken – sowohl aus der Nähe als auch aus der Distanz –, machen die Ausstellung zu einem intimen, aber auch individuellen Erlebnis.

Die Kraft der Black Joy

Ein zentrales Thema, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht, ist Black Joy. Diese Freude ist eine bewusste Entscheidung, die sowohl die Auswahl der Kunstwerke als auch deren Präsentation bestimmt. In einer Welt, die Schwarze Identität oft auf Leid, Trauma und die Last der kolonialen Vergangenheit reduziert, stellt diese Ausstellung eine kraftvolle Gegenrealität dar. Sie zelebriert die Freude, die Spiritualität und die Alltäglichkeit Schwarzer Menschen in all ihren Facetten.

Die Ausstellung zeigt Schwarze Körper in Momenten der Ruhe, des Feierns und der Intimität – Szenen, die in der westlichen Kunstgeschichte oft marginalisiert oder stereotypisiert wurden. Hier sind es jedoch diese alltäglichen, aber tief bedeutungsvollen Augenblicke, die in den Mittelpunkt gerückt werden. Das Thema der Black Joy wird nicht nur durch die Portraits, sondern auch über die Atmosphäre der Ausstellung transportiert. 

Besucher:innen diskutieren und interpretieren die Gemälde der Ausstellung. Sie treten dabei in einen lebhaften Dialog mit dem Raum und den dargestellten Figuren. (Foto: Serafina Andrew)

Die Räume der Ausstellung sind bewusst so gestaltet, dass sie den Besucher:innen Raum geben, diese Freude in aller Ruhe zu erleben. Die Kunstwerke strahlen nicht nur Lebendigkeit und Selbstbewusstsein aus, sondern fordern auch einen neuen Blick auf Schwarze Körper – fernab von den üblichen Klischees und Stereotypen.

Die Freude, die in den Gemälden dargestellt wird, ist keine oberflächliche, sondern eine tief verankerte und kulturell bedeutsame Emotion. Die Portraits zeigen Schwarze Menschen, die in ihrer vollen Pracht und Vielfalt erstrahlen – tanzend, musizierend, in stillen Momenten der Kontemplation oder in geselligen Zusammenkünften. Diese Szenen des Alltags sind oft geprägt von einer Leichtigkeit und Lebendigkeit, die den gesamten Raum durchzieht. Besonders in den Kapiteln Freizeit und Ruhe wird dies deutlich: Hier strahlen die dargestellten Menschen eine tief empfundene Zufriedenheit und Gelassenheit aus, die nicht nur die Dargestellten selbst feiern, sondern auch die Möglichkeit bieten, sich als Betrachter:in von dieser Freude anstecken zu lassen.

Schwarze Freude als Akt der Selbstermächtigung

Diese Black Joy zeigt sich nicht nur in den Gemälden selbst, sondern auch in der Art und Weise, wie die Besucher:innen auf die Ausstellung reagieren. Viele der Besucher:innen bleiben lange vor den Kunstwerken stehen, unterhalten sich, lachen oder diskutieren angeregt über die Darstellungen. Es entsteht eine spürbare Dynamik im Raum, die die Energie der Gemälde zu spiegeln scheint. Dieser lebendige Austausch unter den Besucher:innen zeigt, wie kraftvoll die dargestellte Freude ist – sie ist nicht nur auf den Leinwänden präsent, sondern setzt sich auch in den realen Begegnungen und Interaktionen der Menschen fort.

Der Eingang zum Ausstellungsbereich «Freude und Ausgelassenheit», der sich mit dem Thema Freude in der Kunst auseinandersetzt. (Foto: Serafina Andrew)

Die Ausstellung wird dadurch zu einem Raum der Begegnung und des Austauschs, in dem Schwarze Menschen ihre eigene Geschichte und Identität in einer neuen, freudvollen Perspektive erleben können. Gleichzeitig bietet «When We See Us*»* auch Nicht-Schwarzen Besucher:innen die Möglichkeit, diese Freude zu teilen und in einen Dialog über Schwarze Identität und Selbstrepräsentation einzutreten. Die Ausstellung bricht mit den gängigen Stereotypen und zeigt Schwarze Freude als kraftvollen Akt der Selbstermächtigung und Quelle von Stolz und Widerstand.

Es sind diese Momente der Freude, des Zusammenseins und der Selbstbestimmtheit, die das Herzstück der Ausstellung bilden und einen starken Kontrast zu den oft schmerzhaften Erzählungen Schwarzer Geschichte schaffen. Black Joy wird hier als eine kraftvolle Gegenwart gefeiert, die nicht nur Vergangenheit und Trauma überwindet, sondern auch eine Vision für die Zukunft darstellt. Damit ist die Ausstellung «When We See Us» im Kunstmuseum Basel mehr als eine Sammlung von Kunstwerken. Mit ihrer durchdachten Raumgestaltung, intensiven Farbgebung und Vielfalt an künstlerischen Techniken schafft die Ausstellung eine Atmosphäre, die sowohl zum Nachdenken als auch zum Feiern einlädt. «When We See Us» ist eine Ausstellung, die den Dialog fördert und zeigt, dass Schwarze Identität nicht nur durch Trauma, sondern auch durch Freude und Resilienz geprägt ist.

Die Ausstellung «When We See Us – A Century of Black Figuration in Painting» ist noch bis zum 24. November 2024 im Kunstmuseum Basel zu sehen.

Kouoh, Koyo. 2024. When We See Us. Hundert Jahre Panafrikanische Figurative Malerei, Kunstmuseum Basel. Thames and Hudson.

Serafina Andrew

Serafina Andrew ist Masterstudentin der Empirischen Kulturwissenschaft und Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Sie forscht an den Schnittstellen von postkolonialer Theorie, Stadtforschung und Kulturanalyse. Ihr Fokus liegt auf der Untersuchung sozialer Ungleichheiten, biracial Identitäten und der Darstellung von Identität in visueller Kultur, insbesondere durch Fotografie. Zurzeit untersucht sie, wie Raum, Zeit und ästhetische Darstellung die Komplexität der Identitätsbildung in physischen und digitalen Räumen beeinflussen.
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