
Zur digitalen Handlungsmacht von Rainbow Parents
„Born from enthusiasm“: Über eine queere Medienkompetenzausbildung, über den Film Papa Weifeng und über ältere LGBTIQA+-Medienaktivist:innen in China
Queercomrades.com, die offizielle Website der gleichnamigen chinesischen LGBTIQA+-Organisation, erstellt und veröffentlicht gemeinsam mit der Pekinger Filmproduktions- und Medienkompetenz-ausbildung Queer University sowie mit Künstler:innen und Medienaktivist:innen zahlreiche Filme und Videoclips mit LGBTIQA+-Themen. Ein dort einsehbarer experimenteller Kurzdokumentarfilm namens „Papa Weifeng“ (2016) befasst sich mit dem sozialen Engagement chinesischer „Rainbow Parents“, ca. 50- bis 70-jährigen Eltern von jüngeren Angehörigen des LGBTIQA+-Spektrums. Der Film zeigt unter anderem diverse Zusammenkünfte und Gruppengespräche der Aktivist:innen sowie Interview-Sequenzen mit ihnen. Für seinen Beitrag in der Ausgabe 2/2024 hat sich Stefan Schweigler medien-kulturwissenschaftlich mit diesem Filmprojekt beschäftigt und befragt insbesondere, wie das gouvernementale Medienhandeln der Protagonist:innen auf verschränkte Weise Konzepte von digitalen Medien, Alter(n), Queerness und chinesisch-postsozialistischer Identität performativ hervorbringt.
Besonders figürlich wird diese Verschränkung in jenen Szenen, die ein häusliches Treffen der Gruppe an einem Valentinstag darstellt (siehe Titelbild [i]). Im Zuge des Gesprächs in einem Wohnzimmer diskutieren die Aktivist*innen über ihren Anspruch, sich durch mediale Sichtbarkeit in gesellschaftliche Verhandlungen von Queerness einzuschreiben. Durch ihre Äusserungen und inszenatorischen Setzungen wie etwa spontane Regieeinfälle, die Betonung von Improvisation auch über gezielt imperfekte Beleuchtung oder Montage, subjektivieren sich die Personen merklich in Differenz zu stereotypen Altersbildern. Letztere imaginieren ältere Menschen häufig als das ,Andere‘ der digitalen Medienöffentlichkeit und attestieren Unfähigkeit oder Desinteresse in Bezug auf digitale Medienkompetenz. Durch das Performieren solcher diskursiver und praktischer Absetzbewegungen, entwerfen und plausibilieren sich die Aktivist:innen als Personen, die in Differenz zu exkludierenden Altersvorstellungen des Digital Ageism stehen.
Ihre Inanspruchnahme medialer Sichtbarkeit und Handlungsmacht als ältere Personen wird im Film insbesondere mit ihrer Subjektivierung als „Rainbow Parents“ verknüpft. Sie hinterfragen hegemoniale Konzepte des „grandpa age“ und der biologischen Fortführung der „family line“, die ihnen unter anderem im Internet als Homophobie begegnen. Nicht zuletzt wenden sich die Gespräche daher auch immer wieder Aspekten zu, die in der Queer Theory klassische Gegenstände der Problematisierung sind: biologische Reproduktion, Heterosexualität und ‚familiäres Glück‘. Dabei werden Blickwinkel eingenommen, die auch innerhalb der Queer Theory eine Randstellung innehaben, nämlich post-koloniale und postsozialistische Zugänge zu einer Kritik der Heteronormativität. Eine Anschlussfähigkeit an die Positionen ostasiatisch-postsozialistischer Queer Theory (Shana Ye, Hongwei Bao, Wenhsiang Su) weist der Film unter anderem durch seine reflexive Dekonstruktion des importierten, westlich-kapitalistischen Valentinstags auf. Denn die Zusammenkunft der Gruppe und das Filmprojekt stellen auch eine mediale Aneignung und Zweckentfremdung dieses Feiertags dar, wie es im Film heisst: „Our Valentine isn’t the common, parochial Valentine. In the end, our Valentine is born from a profound and wide-ranging love. A far-reaching love. Born from enthusiasm.“
Stefan Schweigler, untersucht in seinem Artikel „Aging und Queering im postsozialistischen China“ in der aktuellen Ausgabe des SAVK 2021/2 den Kurzdokumentarfilm Papa Weifeng (2016) und seine relationale Einbindung in den chinesischen Medienaktivismus. Er geht der These nach, dass die Gruppendiskussionen und das Digital Storytelling des Regisseurs das Alter(n) der Aktivist*innen, die Einforderung von LGBTIQA+-Rechten und Perspektiven des Globalen Südens in verschränkter und aufeinander bezogener Weise verhandeln. Altern, Queerness und dekoloniale Positionen werden als Aspekte sichtbar, die intersektional und komplex miteinander verbunden sind. Hier geht es zum Artikel.
Schweigler, Stefan: Aging und Queering im postsozialistischen China. Papa Weifeng als digitaler und intergenerationaler Medienaktivismus des Globalen Südens. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde (SAVk), 2024/2, S. 37-50. DOI 10.33057/Chronos.1786/37-50.
Zitation
Stefan Schweigler, Zur digitalen Handlungsmacht von Rainbow Parents, in: das.bulletin, 02.05.2025, URL: https://empirischekulturwissenschaft.ch/de/bulletin/post/zur-digitalen-handlungsmacht-von-rainbow-parents.
