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«Volksmusik» – schweizerische Musik im Museum erspüren (und sogar mitgestalten)

Da hat sich seit gut zwei, drei Jahrzehnten was zusammengebraut: die sogenannte Neue Volksmusik in der Schweiz lässt überkommene Stereotype alt aussehen und klingt erfrischend anders und experimentell. Genauso anzuhören und wunderschön anzusehen ist die Ausstellung «Volksmusik» im Forum Schweizer Geschichte Schwyz, die modernste Musikausstellungsmethoden nutzt. Unbedingt bis zum 3. Mai 2026 hingehen! Und mitmachen und Teil der Ausstellung werden!

Wäre es nicht toll, die Vielfalt der Volksmusik in der Schweiz in einer schönen, modern gestalteten und partizipativen Ausstellung zu zeigen? – So etwas ähnliches müssen wohl die Kurator:innen im Schweizerischen Nationalmuseum imaginiert haben – und dann haben sie es in die Tat umgesetzt. Die Ausstellung erzählt von den Instrumenten, den Menschen, die sie spielen, von Geschichte und Kulturpolitik mit Volks- und Folkmusik, und sie wirft auch einen Blick hinter die Kulissen der Sammlung und Vermittlung von Volksmusik in Volkskunde und Fernsehen. Soviel vorab: Die Volksmusikausstellung erzählt von vielen Schweizer Volksmusiken und sie ist ein Muss für jede:n Musikliebhaber:in und auch für Menschen, die generell an schweizerischer Kulturgeschichte interessiert sind. Sie bringt aus dem Reichtum der schweizerischen Populärmusikkultur die wichtigsten Elemente zusammen, und museumsuntypisch heisst es hier nicht «Bitte nicht berühren», sondern oft: «Bitte ausprobieren und mitmachen!» So ist die Ausstellung offen fürs Mittun und im besten Sinne partizipativ auf mehreren Ebenen – genau wie die Musik, um die es geht.

Treten Sie ein ins Forum Schwyz! (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)

Begrüsst werden wir von der Ko-Kuratorin Sibylle Gerber und von einem grossformatigen Foto, das drei Gestalten vor einem Bergpanorama zeigt (ganz ähnlich dem, das wir aus dem Zug gesehen hätten, wenn die Berge an dem Septembertag 2025, an dem wir mit einer Tagungsexkursion das Museum besuchten, nicht wolkenverhangen gewesen wären). Bei den gut beschirmten Männern handelt es sich offenbar um Musiker auf dem Weg zur nächsten Stubete, denn zu sehen sind ein Kontrabass, eine Geige und weitere unbekannte Instrumente in Koffern. Die gleissende Sonne kann die «Fränzlis» nicht aufhalten, und ganz sicher werden sie am Abend mit Leichtigkeit die Anstrengungen des Arbeitswegs überspielen. Sie nehmen uns mit auf eine aufregende Reise durch die Schweizer Volksmusik. 

Klammer auf. Ja, ich weiss: «Volksmusik» sagt man ja eigentlich nicht, zu belastet ist der Begriff. Doch er ist im Alltag lebendig, genauso wie das Wörtchen «traditionell», das ja ebenso nach allen Regeln der empirisch-kulturwissenschaftlichen Kunst dekonstruiert wurde, mit demselben Ergebnis. Begriffe können zähe Zeitgenossen sein. Klammer zu. 

Alphorn – Schwyzerörgeli – Hackbrett – Jodel

Vier Instrumente – zählt man die Stimme auch als Instrument – stehen im Zentrum der Ausstellung. Um sie herum werden unterschiedliche Geschichten erzählt. So erinnert das Alphorn an das erste Unspunnenfest (1805), das als einen wichtigen Auftakt zur musikalischen Traditionspflege bildete. Heute unvorstellbar: Es traten nur zwei Alphornbläser zum Wettstreit an. Durch gezielte Förderung wurde das Instrument im 20. Jahrhundert zu einem Schweizer Nationalsymbol. Es findet sich aber auch in der klassischen Musik, der in Wien lebende Hamburger Johannes Brahms etwa schuf für seine Erste Sinfonie (1876) Alphornklänge, nachdem er das Berner Oberland besucht hatte und vom Klang sehr beeindruckt war. Musik war also auch schon im 19. Jahrhundert ein internationales Unterfangen mit zirkulierenden kulturellen Elementen.

Wie das Alphorn immer länger wurde. Die jeweiligen Ausstellungsbereiche sind durch grossflächige Grafiken an den Wänden klar erkennbar. (Foto: Johannes Müske)

Zwar sind auch andere Instrumente Teil der Schweizer Musik; zu hören und sehen in der Ausstellung sind zum Beispiel Gitarren (gerade im Folk der 1970er-Jahre) oder Klarinetten, die gerade von den Ländlerkapellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gespielt wurden. Und natürlich Löffel. Doch die Ausstellung rückt die genannten vier Instrumente in den Fokus, die musikalisch als besonders schweizerisch konnotiert sind. Die Ausstellung zeichnet also Entwicklungen der Schweizer Volksmusik nach (eine gute Einführung findet sich im Historischen Lexikon der Schweiz) und ist gleichzeitig selbst ein Ergebnis von gut zwei Jahrhunderten Volksmusikpflege.

Inhaltlich und szenografisch toll gelungen ist auch der Bereich zum Schwyzerörgeli. Dieses Instrument wurde in der heutigen Form um 1883 erfunden und wurde im 19. Jahrhundert schnell in vielen Stuben populär. Es bedeutete eine «Revolution», da sich Melodie, Begleitung und Rhythmus damit spielen lassen. Ab dem frühen 20. Jahrhundert trat es dann seinen Siegeszug in der Tanzmusik an und trat aus der häuslichen Musik hinaus in die Welt der professionellen Tanzkapellen, wo es Streicher und Bläser ersetzte. Denn weniger zu bezahlende Musiker bedeutete: mehr Geld für die Spieler:innen (es waren fast immer Männer). Die Standardbesetzung bestand oft aus zwei Klarinetten, zwei Handorgeln und Kontrabass. Hier wird am Beispiel eines Instruments in einer Tischvitrine minutiös gezeigt, wie der Konstruktionsprozess eines Schwyzerörgeli aufgebaut ist, komplettiert von einem grossen Werkstattfoto. Da tut sich eine wunderbare Innenwelt auf und stellt stolz auch einen anderen ‹Swissnessfaktor› aus: Präzisionsarbeit.

Volkskultursammeln, Volksmusikschauen und Folkmusikmachen

Auch die Kontexte der Musik werden thematisiert, etwa das Sammeln von Volksmusik im Rahmen der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde (heute: EKWS) oder durch Privatsammler:innen wie Hanny Christen. Archivalien aus dem «Atlas der Schweizerischen Volkskunde» bilden empirische Daten über die Verbreitung des Hackbretts in der Schweiz ab, entstanden bei Befragungen in den späten 1930er-Jahren.

Die Volkskunde forschte auch über Volksmusikinstrumente und bildete deren Verbreitung auf Karten («Atlas der schweizerischen Volkskunde», um 1937–42) ab. (Foto: Johannes Müske)

In einer mediatisierten Lebenswelt findet Musik nicht nur live statt, sondern auch in Radio und Fernsehen. Sehr gemütlich inszeniert ist eine Fernsehecke, in der die Volksmusiksendungen von Wysel Gyr, z. B. «Für Stadt und Land», geschaut werden können. Die Sesselecke ist aus einer fruchtbaren Kooperation mit einem aktuellen Forschungsprojekt an der Universität Zürich hervorgegangen. Wie mit einer Fernbedienung können per Knopf Ausschnitte aus den Sendungen ausgewählt werden.

So muss es sich damals angefühlt haben, das lineare Fernsehen in der guten Stube. (Foto: Johannes Müske)

Nicht fehlen darf die Gegenbewegung zum Folklorefernsehen, die in den 1970er-Jahren ebenfalls eine Blüte erlebte: die Folkszene. Der Verein Folkfestivals auf der Lenzburg hat sein digitalisiertes Archiv geöffnet, sodass Plakate und Fotos von den Festivals (1972–1980) gezeigt werden können.

Operation «Volksmusik» gelungen, Patientin lebt

So vieles mehr wäre zu sagen: beispielsweise über Dorffeste mit Tanz als historischem Tinder. Darüber, dass man Volksmusik in Luzern studieren kann. Über eine Klangstation zum Selbermusizieren. Über Portraits von Musiker:innen, die die Musik lebendig werden lassen und immer wieder neu erfinden. Über Anlässe wie das «Alpentöne» Festival, an denen die Breite zeitgenössischen trans-traditionalen Musikschaffens erlebt werden kann, was weit über die rein «schweizerischen» Klänge hinausgeht.

Die gesamte Szenografie wirkt gemütlich – warme Holztöne erinnern an eine Beiz und geben Wärme. Alles ist klar strukturiert, Grafiken an den Wänden und Farben bieten Orientierung, Hörstationen laden zum vertieften Studium ein, kurze Texte erschliessen auf einen Blick die Objekte. Die Technik funktioniert, die Klänge in der Ausstellung nerven nicht. Die Räume sind trotz der Fülle an Objekten und Themen nie voll, sondern luftig. Wie im Showbusiness gilt auch hier: Mit Sicherheit steckt viel schwere Arbeit dahinter, wenn etwas so leicht aussieht.

So setzt «Volksmusik» einen wichtigen Gedanken en passant um: Jede:r darf mitmachen. Auf der Stubete-Bühne können interessierte Besucher:innen selbst Instrumente ausprobieren, ich habe sogar einen Ton aus dem Alphorn bekommen. Ebenfalls ein Clou ist die Verbindung mit der virtuellen Welt, denn in die Ausstellung können online Musikstücke und Geschichten eingereicht werden. Hier treten weitere Volksmusik-Deutungen von weiteren Akteur:innen in den Diskurs ein. Und es deuten sich neue Entwicklungen in der Museumslandschaft hin zum partizipativeren Museum an.

Museum & Infos

Die Ausstellung im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz läuft noch bis am 3. Mai 2026. Begleitprogramm für unterschiedliche Zielgruppen online.

Zitation

Johannes Müske, «Volksmusik» – schweizerische Musik im Museum erspüren (und sogar mitgestalten), in: das.bulletin, 22.12.2025, URL: https://ekws.ch/de/bulletin/post/volksmusik-schweizerische-musik-im-museum-erspueren-und-sogar-mitgestalten.

Johannes Müske

Dr. Johannes Müske forscht und lehrt an der Universität Freiburg (D), Zentrum für Populäre Kultur und Musik. Er ist verantwortlich für das Deutsche Volksliedarchiv und arbeitet derzeit an einer Ethnografie zum Thema Volksliedersingen in Südbaden und ist ehrenamtlicher Leiter des Schweizerischen Volksliedarchivs der EKWS.
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